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Der Müll und die Kunst

Von 25. Juni 2019Blog

Ein zunächst kurios anmutender Fall. Es geht um den Maler Maler Gerhard Richter. Der wird gerne mit dem Attribut „teuerster noch lebender Künstler der Welt“ belegt. Er lebt in Köln (wie die Tagespresse zu berichten wusste, standesgemäß in einem Villenviertel), ist aber ansonsten ein Mensch wie jeder andere und produziert also auch Müll. In seinen Hausmüll (konkret: in einen eigenen Altpapiercontainer) wirft er eines Tages vier von ihm angefertigte Skizzen, die er als misslungen empfindet.

Ein Mann fischt die Skizzen aus dem Container des Künstlers und versucht anschließend, sie zu Geld zu machen. Hierzu nimmt er Kontakt mit einem Auktionshaus auf.der Wert der Skizzen wird geschätzt, auf zunächst 60.000 EUR.

Die Staatsanwaltschaft klagt den Mann wegen Diebstahls an und so wird er auch verurteilt.

Ein kleiner Fall, der allerdings eine juristisch interessante Frage aufwirft: handelt es sich tatsächlich um einen Diebstahl, wenn man etwas an sich nimmt, was ein anderer in den Müll geworfen hat? Relevant ist dies nicht nur in Fallkonstellationen wie der vorliegenden, man denke nur an Fälle, in denen Menschen Nahrungsmittel an sich nehmen, die von Supermärkten wegen abgelaufenen Haltbarkeitsdatums weggeworfen wurden. Sind das Diebe?

§ 242 Abs. 1 StGB (Diebstahl) lautet

Wer eine fremde bewegliche Sache einem anderen in der Absicht wegnimmt, die Sache sich oder einem Dritten rechtswidrig zuzueignen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

Fremd ist eine Sache nach überkommener Definition, wenn sie im Eigentum eines anderen steht und nicht herrenlos oder eigentumsunfähig ist. Was die Bilder im Müll anbelangt, ließe sich daran denken, ob der Künstler nicht das Eigentum an den Skizzen durch das Wegwerfen aufgegeben hat. Die Skizzen wären dann herrenlos gewesen und damit nicht mehr taugliches Tatobjekt eines Diebstahls.

Das Amtsgericht, vor dem der Prozess stattfand hat das anders gesehen und eine Eigentumsaufgabe verneint. Mit dem Einlegen in den Müll habe der Künstler dem in Betracht kommenden Entsorgungsbetrieb ein Übereignungsangebot gemacht, welches der Entsorger bei Abholung angenommen hätte. Bis zu diesem Zeitpunkt hätten die Bilder demnach noch im Eigentum Gerhard Richters gestanden und seien nicht herrenlos gewesen, damit zugleich taugliches Diebstahlsobjekt.

Klar, Juristen können (fast) alles. Aber diese Konstruktion wirkt wahrlich mehr als bemüht, meinen wir. Wer etwas in den Müll wirft, macht damit zunächst einmal nach außen hin deutlich, dass er an dem betreffenden Gegenstand nicht mehr die Rechte ausüben will, die ein Eigentümer üblicherweise ausübt, etwa das Recht der Benutzung. Er gibt damit schlüssig sein Eigentum auf. Nicht gesagt ist hingegen, dass der (frühere) Eigentümer zugleich möchte, dass auch kein anderer mehr den Gegenstand verwendet. So hat es sich etwa bei auf den Sperrmüll geworfenen Computerteilen eingebürgert, das Stromkabel durchzuschneiden, um anderen, die gerne im Sperrmüll wühlen und auch Sachen mitnehmen, von vornherein zu signalisieren, dass dieser Gegenstand defekt ist und nicht mehr verwendet werden kann.

Möchte man auf jeden Fall sicherstellen, dass der Gegenstand von einem Entsorgungsbetrieb vernichtet und von niemandem mehr verwendet wird, so kann man das durch einen zusätzlichen Akt kundtun. Was aus Papier ist (wie die Skizzen), kann man zerreißen, an einem Kleidungsstück ein Stück abschneiden o. ä. Wer das nicht macht, der macht durch das Entsorgen im Müll nur eines deutlich: „Ich selbst kann mit diesem Gegenstand nichts mehr anfangen.“

Geht man dagegen mit Staatsanwaltschaft und Amtsgericht davon aus, dass Gegenstände wie die Skizzen im Müll nicht herrenlos sind, weil der Wegwerfende sie noch übereignen will (an den Müllverwerter), so wird man dem, der die Sachen aus dem Müll fischt, jedenfalls zugute halten müssen, dass er an die Herrenlosigkeit der Sachen geglaubt und damit ohne Diebstahlsvorsatz gehandelt hat. Wie auch immer man es macht: eine Verurteilung wegen Diebstahls kann in einem derartigen Fall nicht herauskommen.

Eine ganz andere Frage ist, ob der Müllfischer dazu berechtigt war, die vom Künstler weggeworfenen Skizzen zu verwerten. Das ist zu verneinen. § 106 Abs. 1 UrhG stellt die Verbreitung eines Werkes ohne Einwilligung des Berechtigten sogar unter Strafe.

Ergebnis: wer Kunstwerke aus dem Müll fischt und sie bei sich zu Hause aufhängt/aufstellt, ist kein Dieb. Wer sie hingegen verkauft oder dies versucht, macht sich wegen eines Verstoßes gegen § 106 Abs. 1 UrhG strafbar. Ob man ganz generell im Müll anderer Menschen wühlen sollte, steht allerdings auf einem anderen Blatt.

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